Jeden Tag bekomme ich als Therapeut vor Augen geführt, wie eklatant unverarbeitete Konflikte der Vergangenheit das aktuelle Leben beeinflussen können. Jeden Tag sehe ich jedoch auch, dass es möglich ist, seine emotionalen Altlasten aufzuräumen und mit sich selbst ins Reine zu kommen. Ich hoffe, dass Dir durch das Lesen meines Buches vieles klar wird. Und dass sich schon einige Deiner unverarbeiteten Gefühle lösen werden. Dass Knoten aufgehen und sich Erleichterung und Hoffnung ihren Weg in Dir bahnen. Dieses Buch hat nicht den Anspruch, eine vollständige Therapie zu ersetzen oder den Weg zu Deiner Heilung komplett abzubilden. Es wird Dir jedoch dabei helfen, Dich selbst besser zu verstehen und Dir einen Weg zeigen, der raus aus dem Leid geht und Dich in die Richtung Deines Glückes führt. Mir war es auch wichtig, das Buch zu schreiben, um Dir einen klaren Blick auf das Thema „Schwierige Kindheit“ zu vermitteln. Wichtig ist, nach dem Verstehen der Kopfaspekte möglichst rasch ins Fühlen zu kommen. Wer ausheilen will, sollte im ersten Schritt verstehen und im zweiten Schritt mit seinen Gefühlen ins Reine kommen. Der Weg der Ausheilung geht nicht am Gefühl vorbei, sondern durch das Gefühl hindurch. Ich wünsche Dir alles Gute auf Deinem Weg und hoffe sehr, dass ich Dich mit meinen Beobachtungen und Hinweisen ein Stück weiterführen kann.
Alles Gute, Dein Floris
Seine Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie nicht. So ein bekanntes Sprichwort. Seine Familie, seine Eltern und damit auch seine eigene Kindheit kann man nicht wählen. Vielmehr noch, man sie nicht abwählen oder einfach so ersetzen, zumindest nicht in der Kindheit selber, auch wenn man es sich sehnlichst wünschen würde. Natürlich kann man vor der eigenen Familie fliehen und so früh wie möglich ausziehen. Natürlich kann man versuchen, bei Großeltern, einem Nachbarn oder bei Freunden ein Stück dessen abzubekommen, was einem intuitiv guttut. Doch dazu später mehr.
Fakt ist: Jeder Mensch wird in eine individuelle Situation hineingeboren. Er muss das tragen, was das Schicksal ihm aufbürdet. Manche Menschen haben es leichter als andere. Sie leben in einem gesunden Elternhaus. Sie leben mit Eltern zusammen, die Liebe geben können. Die Sicherheit bieten. Eltern, die zuhören, wenn man sie braucht. Eltern, die einander lieben und gut miteinander auskommen. Manche Menschen haben das Glück, in einer Atmosphäre des Wohlfühlens groß zu werden.
Es ist nach meiner Erfahrung eher selten, dass Menschen in einem Umfeld wie beschrieben groß werden. In den meisten Familien gibt es kleine, mittlere und häufig auch große Probleme, die sich immer auch auf das Leben der Kinder auswirken. Denn Eltern und Kinder sind emotional eng miteinander verknüpft. Sie befinden sich in einer Art gemeinsamen emotionalen Blase. Daher ist es schwer, Kindern, die an psychischen Problemen leiden, zu helfen ohne die Eltern mit einzubeziehen. Meist sind Kinder Symptomträger der elterlichen Probleme. Die Belastungen der Eltern schwappen auf die Kinder über. Das Kind, das unter chronischen Bauchschmerzen leidet und bei dem die Ärzte keine körperlichen Ursachen dafür finden, ist ein typisches Beispiel dafür. Aktuell kommen noch zu wenige Ärzte auf die Idee, nach dem elterlichen Umfeld und der Ehe der Eltern zu fragen, wenn es um unklare und langanhaltende körperliche Beschwerden von Kindern geht. Auch auf die körperlichen Projektionsflächen von Gefühlen werden wir nachher noch detailliert eingehen, damit Du den Zusammenhang zwischen Körper und Gefühl genau verstehst.
Um zu begreifen, wieso der Gemütszustand von Eltern und Kindern so stark zusammenhängt, müssen wir uns einer ganz besonderen Sorte von Nervenzellen im Gehirn widmen. Den sogenannten Spiegelneuronen. Spiegelneurone sind Hirn-Nervenzellen, die dazu in der Lage sind, den Gefühlszustand unseres Gegenübers zu spiegeln, genaugenommen, nachzuempfinden. Wenn Du Dich zum Beispiel mit einer Freundin triffst und diese sehr traurig ist, weil ihre Beziehung gerade in die Brüche gegangen ist, dann wirst Du mit ihr mitfühlen und auch etwas traurig werden. Dieses Mitfühlen, das „Spiegeln“ von Gefühlen, ist notwendig, damit wir uns in die Lage unseres Gegenübers hineinversetzen können. Das Hineinversetzen-Können ist eine wichtige Grundlage der Fähigkeit von Menschen, miteinander in Kontakt zu gehen und miteinander zu leben. Fehlte uns diese Eigenschaft, wäre unsere Fähigkeit, miteinander zu leben, stark eingeschränkt. Dies ist bei „echten“ Psychopathen der Fall. Sie fühlen mit anderen Menschen nicht mit und können daher auch nicht auf deren Gefühle Rücksicht nehmen - eine denkbar schlechte Ausgangsposition für ein gesundes Miteinander.
Nun kommt die Kehrseite der grandiosen Eigenschaft der Spiegelneurone: Wenn wir dauerhaft von Menschen umgeben sind, denen es emotional schlecht geht, spiegeln wir eben auch deren negativen Gefühle. So übertragen sich Traurigkeitsgefühle, Ängste, Schuld und Schamgefühle von den Eltern auf die Kinder. Wie Kinder sich fühlen, ist somit im starken Maße von den Gefühlen der Eltern abhängig. So erklärt sich auch, wieso Eltern, die sich übermäßig für ihre Kinder aufopfern ohne auf sich selbst zu achten, keine wirklich glücklichen Kinder hervorbringen: Weil es ihnen selbst dabei nicht gut geht. Und genau diese Gefühle übertragen sich auf die Kinder und werden in ihrem Emotionsgedächtnis abgespeichert. Dass es den Eltern gut geht, ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass es auch den Kindern gut gehen kann.
Das Aufnehmen und Abspeichern von Gefühlen durch Spiegelneurone ist eine Art, wie negative Gefühle sich in unseren Gehirnen festsetzen. Der andere, der offensichtlichere Weg, Gefühle aufzunehmen, ist der Weg der Erlebnisse. Behandeln Eltern ihre Kinder schlecht oder können sie die Bedürfnisse des Kindes nicht ausreichend befriedigen, dann werden die dadurch im Kind wahrgenommenen Gefühle unter bestimmen Voraussetzungen, auf die ich nachher noch eingehen werde, im Gehirn abgespeichert und ins Erwachsenenleben mitgenommen.